ökonomischer Burggraben

Ein ökonomischer Burggraben, engl. Moat, stellt bei der Bewertung von Unternehmen die wichtigste Eigenschaft dar. Die Bedeutung dieser Eigenschaft wird von Anfängern oft unterschätzt bzw. erst gar nicht wahrgenommen. Im Fokus stehen zunächst meistens Dinge wie hohe Wachstumsraten oder visionäre Ideen, wie sie bei spekulativen Startups ins Auge fallen.

Dass man sich von hohen Wachstumsraten oder visionären Ideen nichts kaufen kann, merkt man jedoch spätestens dann, wenn die Wachstumsraten plötzlich sinken und die Kurse einbrechen. Dann ist es jedoch meistens zu spät zu reagieren und die möglicherweise aufgelaufenen Kursgewinne zu realisieren. Häufiger ist der Fall, dass auf 10% Kursgewinn 30% Kursrückgang folgen…

Worin besteht das Problem?

Das Problem besteht häufig darin, dass die besagten Unternehmen zwar ein interessantes, ggf. auch vielversprechendes Geschäftsmodell haben, sich aber noch keinen Burggraben erarbeitet haben. Bei neu gegründeten Unternehmen ist dies schon aus grundsätzlichen Gründen kaum möglich. Denn ein ökonomischer Burggraben bedeutet, dass ein Unternehmen einen zeitlichen oder technologischen Vorsprung oder eine besondere Eigenschaft hat, die kurzfristig kein Wettbewerber aufholen oder bieten kann. Bei einem Unternehmen, das erst seit kurzer Zeit am Markt aktiv ist, besteht eigentlich kein Grund, warum andere Unternehmen nicht die gleiche Idee in die Tat umsetzen sollten. Dies gilt insbesondere für größere Unternehmen mit mehr Geld und Mitarbeitern, die in der gleichen Branche tätig sind.

Warum ist das so schlimm?

Das Problem für Investoren besteht natürlich darin, dass sich die erhofften Umsätze und Gewinne nicht einstellen werden, wenn plötzlich starke Wettbewerber auf die Bühne treten, mit denen man – im wahrsten Sinne des Wortes – nicht gerechnet hat. Denn das schlägt sich direkt auf den Unternehmenswert und damit auf den Aktienkurs nieder.

Das Schlimmste daran ist, dass man dieses Problem – im Gegensatz zur den Schwankungen bei zyklischen Unternehmen – nicht aussitzen kann. Denn eine Konjunkturdelle geht irgendwann wieder vorbei, auch wenn man dafür ggf. viel Geduld aufbringen muss. Wenn ein Unternehmen jedoch durch Wettbewerber unter Druck gerät, bedeutet dies oft einen dauerhaften Schaden, da die Wettbewerber nicht so schnell wieder verschwinden und es umso schwerer ist, eine einmal verlorene Marktposition zurückzuerobern. Wenn die Burg erst einmal gestürmt ist, ist es mit der Herrschaft vorbei, für immer oder zumindest für lange Zeit.

Aufgabe für Investoren

Das ist der Grund, warum Warren Buffett dem ökonomischen Burggraben einen so großen Wert beimisst. Der ökonomische Burggraben ist sicherlich nicht alles, aber ohne breiten Burggraben ist die schönste Burg angreifbar und damit letztlich wertlos.

Die Bedeutung des ökonomischen Burggrabens hat sich inzwischen herumgesprochen, so dass fast jeder erfahrene Investor auf dieses Kriterium achtet. Auch auf  Morningstar.com, einem führenden Anbieter von Unternehmensinformationen und -bewertungen, spielt die Einschätzung des ökonomischen Burggrabens eine zentrale Rolle, die nur zahlenden Kunden zur Verfügung gestellt wird. Dies zeigt aber auch die andere Seite der Medaille: es ist nicht gerade trivial, die Breite des ökonomischen Burggrabens einzuschätzen. Denn hierzu reichen Informationen zum jeweiligen Unternehmen nicht aus, sondern man benötigt darüber hinaus Kenntnisse und Erfahrungen der ganzen Branche: Welche Wettbewerber gibt es? Welche Technlogien, Produkte, Mitarbeiter und finanzielle Möglichkeiten stehen diesen zur Verfügung? Wohin entwickelt sich der Markt, was fragen die Kunden heute und in Zukunft nach?

Das alles ist nicht leicht einzuschätzen, aber gerade das unterscheidet den Hobby-Börsianer von einem professionellen Investor. Allen Hobby-Börsianern kann ich daher nur wärmstens empfehlen, gerade in diesem Punkt von den Profis zu lernen und sich die Mühe zu machen, den ökonomischen Burggraben eines Unternehmens einzuschätzen und beim Investment zu berücksichtigen. Eine höhere Rendite wird Eure Belohnung sein!

Wie fange ich an?

Um einen ersten Schritt zur Einschätzung des ökonomischen Burggrabens zu gehen, kannst Du Dich an folgenden Kriterien orientieren. Ich habe für mich 5 Stufen des Burggrabens definiert:

  1. Stufe: Ist das Unternehmen führend in seiner Branche? Bietet es das beste Produkt an? Hat es einen Technologievorsprung oder Patente? Wenn es nicht führend ist, kann es keinen ökonomischen Burggraben haben, dann haben ihn andere.
  2. Stufe: Arbeitet das Unternehmen kontinuierlich an der Verbesserung seines Produktes oder seines Angebotes? Wenn es das nicht tut, wird sein etwaiger Burggraben nicht lange bestehen bleiben. Denn Wettbewerber gibt es immer, und wer sich nicht weiterentwickelt, fällt zurück. Niemand, auch kein vermeintlich „unangreifbares“ Unternehmen, kann es sich leisten, auf dem Status Quo stehen zu bleiben. Ein wichtiger Hinweis darauf, dass ein Unternehmen sich stetig verbessern und weiterentwickeln will, sind die Ausgaben für Forschung und Entwicklung.
  3. Stufe: Gibt es einen Größenvorteil, der es dem Unternehmen ermöglicht, dauerhaft zu geringen Kosten zu produzieren? Dieser Vorteil spielt vor allem bei „handfesten“ Produkten, zu deren Herstellung mehr oder weniger große und teure Produktionsanlagen nötig sind, eine Rolle.
  4. Stufe: Wie stark ist die Kundenbindung? Gibt es etwas, das die Kunden immer wieder zu diesem einen Unternehmen zurückkehren lässt? Die Kundenbindung kann z.B. durch einen besonders kundenfreundlichen Service, starke Marken oder Wechselkosten begründet sein.
  5. Stufe: Die Krönung des ökonomischen Burggrabens ist der Netzwerk-Effekt. Dieser stellt sich am anschaulichsten auf Marktplätzen ein, auf dem Anbieter und Kunden zusammenfinden. Je mehr Anbieter und je mehr Kunden auf dem Marktplatz zusammenkommen, desto nützlicher wird er sowohl für die Anbieter als auch für die Kunden. Marktplätze zeichnen sich durch die starke Tendenz aus, dass typischerweise nur sehr wenige von ihnen überleben. Wieviele Allround-Marktplätze wie Amazon gibt es? Wieviele Mode-Marktplätze wie Zalando? Wie viele Unikat-Marktplätze wie Etsy? Wie viele Kleinanzeigen-Marktplätze wie eBay? Wie viele Börsen-Marktplätze wie den von der Deutschen Börse betriebenen XETRA-Handel? Wie viele Kreditkarten-Netzwerke wie Mastercard und VISA? Wir kennen fast immer nur 1 bis max. 2, und das liegt daran, dass der größte Anbieter für Kunden wie Händler einen riesigen Vorteil bringt. Wer es einmal in diese Position geschafft hat, ist praktisch nicht mehr zu verdrängen und kann sich eigentlich nur selbst schlagen.

Beispiele

Hier einige Burggraben-Eigenschaften am Beipiel konkreter Unternehmen.

Größenvorteil: Volkswagen hat als weltweit größter Autohersteller den Vorteil, mit dem gleichen Entwicklungsaufwand wie kleinere Wettbewerber Millionen von Fahrzeugen herstellen und verkaufen zu können. Die kostspieligen Produktionsstraßen rechnen sich eben umso mehr, je mehr Fahrzeuge dort produziert werden. Wer sich als kleiner Hersteller die teuren, hochautomatisierten Produktionsstraßen nicht leisten kann, muss mehr manuelle Arbeit aufwänden und produziert dadurch teurer.

Kundenbindung durch überlegenen Service: Das Paradebeispiel ist die US-Fluggesellschaft Southwest Airlines. Das Börsenticker-Symbol „LUV“, gesprochen „love“, sagt alles darüber aus, wie dieses Unternehmen seine Kunden behandelt. Diese einzigartige Unternehmenskultur weckt beim Kunden Emotionen, die er bei den Konkurrenten nicht erfährt und lässt ihn immer wieder zu Southwest zurückkehren.

Kundenbindung durch starke Marken: Eine starke Marke bedeutet, dass ein Kunde mit einem Namen bestimmte positive Produkteigenschaften oder Emotionen verbindet. Dies ist ein langsamer Prozess, der durch Werbung und bestätigende, positive Erfahrungen mit dem Produkt in Gang gesetzt und verstärkt wird. Kunden kehren immer wieder zu Adidas, Coca Cola und BMW zurück, weil sie diese Marken kennen und gute Erfahrungen damit verbinden.

Kundenbindung durch Wechselkosten: Das beste Beispiel dürfte Apple sein mit seinem Ökosystem aus aufeinander abgestimmten Geräten. In diesem Ökosystem funktioniert sowohl jedes Gerät ideal zusammen mit der mitgelieferten Software, als auch die verschiedenen Geräten untereinander. Wer einmal mit einem Apple-Produkt beginnt, wird sich daher mit hoher Wahrscheinlichkeit das nächste Produkt auch von Apple zulegen, denn warum sollte er ohne Not auf den Ökosystem-Vorteil verzichten?